Er ist tot. Jesus ist tot. Ermordet. Alles ging sehr schnell für die, die nicht schon Wochen vorher eingeweiht waren. Sind sie nicht gerade noch voller Freude in Jerusalem eingezogen? Haben sie nicht gerade noch das Passahfest geplant? Ja, sie alle hatten so ein Gefühl. Aber DAS? Dass sich jetzt unter einem Kreuz sitzen würden, an dem ihr Sohn hängt? Ihr Freund. Bruder. Lehrer. Nein, damit hatten sie nicht gerechnet. Und der Schock sitzt tief. Was geschehen ist, werden sie erst viel später begreifen können. Es muss erst in ihnen ankommen. Jetzt gibt es praktische Fragen, die geklärt werden müssen. Wie sollen sie den Leichnam vom Kreuz bekommen und wohin mit ihm?
Ja. Was als erstes tun? Was als nächstes tun? Fragen, die sich niemand von uns stellen möchte. Weil wir nicht möchten, dass jemand stirbt, den wir lieben. Und dennoch, so wie der Tod sind es Fragen, denen wir nicht entkommen. Und ist der Moment erst da, an dem sie aktuell werden, dann sind sie sogar recht hilfreich für die meisten Menschen. So erlebe ich es immer und immer wieder in meiner Arbeit. Und vielleicht kennst du es von dir selbst? Oder jemanden, den du begleitet hast in der Trauer? Deine Eltern oder Freund:innen? Denn diese Fragen bedeuten eines: Ich habe jetzt etwas zu tun. Ich bin diesem Schockgefühl nicht ganz ausgeliefert und kann den Schmerz der Trauer vielleicht noch hinauszögern bis ich halbwegs realisiert habe, was geschehen ist. Der Kopf hat sozusagen noch Zeit sich vorzubereiten, bevor die Gefühle alles einnehmen und dominieren werden. Wenn du schon einmal getrauert hast, wie war es bei dir?
Als ich vom Arzt erfuhr, dass mein Sohn Samuel in mir gestorben war, da dachte ich noch, das wäre doch kein Problem. Wir waren in einem Krankenhaus. In Deutschland. Mein Sohn und ich hatten in ein paar Tagen seinen Geburtstermin. Sie würden ihn retten können. Ich durfte in den Kreißsaal und dachte, sie würden das wieder hinbekommen. Es war komisch, denn alle die den Raum betraten flüsterten. Die junge Assistensärztin, die mir die PDA setzte fragte mich fröhlich, welches Geschlecht das Kind in meinem Bauch hätte. Und bekam böse Blicke ihres Chefs. Das arme Ding. Ich erklärte ihr vorsichtig, dass mein Kind nicht leben würde. Ich wollte sie nicht erschrecken und sie sollte sich nicht peinlich berührt fühlen, weil sie so dumm gewesen war. Außerdem: Am Ende würde ja alles gut sein. Es dauerte wohl zu lange und ich wurde auf eine normale Station verlegt. Das war der Moment, in dem mich die Erkenntnis und Trauer trafen wie eine Tsunamiwelle. Sie hatte langen Anlauf genommen, dennoch hatte ich sie nicht kommen sehen. Irgendjemand schob mein Bett, keine Ahnung was ich dachte. Ich weiß nur noch, ich schrie einen tiefen Schrei. Wie ein Tier. Und dann kamen all die praktischen Dinge. Entscheidungen mussten getroffen werden. Und das Kind geboren. Ich hatte noch zu tun. Das half beim Überleben.
So empfinde ich es auch bei Gemeindemitgliedern. Sie sind froh, wenn sie organisieren dürfen. Entscheidungen treffen überfordert auch. Besonders wenn man nicht miteinander über letzte Wünsche im Vorfeld gesprochen hat. Aber die praktischen Aufgaben zu übernehmen. Noch einmal etwas für die Verstorbenen tun zu können, ein letztes Mal, das hilft. Und es ist gut, dass es Bestatter:innen gibt, die die Dinge in die Hand nehmen und leiten. Empfehlungen geben und Fragen klären. So wie Josef in unserer Geschichte. Wie gut, dass er kam. Wie gut, dass er zwar traurig war, aber den emotionalen Abstand hatte zu handeln. Wie gut, dass Jesu Mutter gesehen hat, wie zärtlich er mit dem Körper ihres Sohnes umgegangen ist. Wie gut für seine Mutter zu sehen, dass ihr Sohn in ein sicheres Grab gelegt wird. Für mehr wird in ihr wohl noch nicht so recht Platz gewesen sein. Nur der erste Trost: Er liegt sicher in einem Grab, ihm kann nichts mehr passieren. Was das für sie bedeutete, das wusste sie noch nicht. Denn der Schmerz traf sie wie eine Tsunamiwelle und breitete sich in ihr aus.