Susanna schreit

Susanna fängt laut an zu schreien! Weil sie sich nicht anders zu helfen weiß. Sie schreit, als ihr die Männer auflauern, um Hilfe zu bekommen von den Menschen im Haus. Und bekommt sie nicht. Sie schreit, als sie zu unrecht zu Tode verurteilt wird zu Gott. Und wird gerettet.

Susanna schreit. Wie mutig! Beide Male hat sie alles zu verlieren. Und doch, als sie zu Gott schreit, schon fast nichts mehr, obwohl es doch ihr Leben ist. Susanna schreit um Hilfe im Garten und vertraut darauf, dass man ihr glaubt. Doch wenigstens ihr Ehemann, von dem wir in der Geschichte nichts weiter erfahren, als das er sich am Ende freut, dass sie unschuldig ist.

Susanna schreit, als sie vergewaltigt werden soll. Sie schreit um Hilfe und sie kämpft für ihr Recht, obwohl sie weiß, dass es zwecklos sein wird. Und schnell wird deutlich: sie hat Recht. Die Menschen glauben den beiden Männern blind. Sind sie doch ehrenwerte Richter und Susanna bloß eine Frau. Die beiden Männer werden gar nicht erst hinterfragt.

Die Geschichte von Ester können wir in den Apokryphen lesen. Es sind Schriften, die zwischen dem Alten und dem Neuen Testament platziert sind. Apokryph heißt verborgen. Verborgen deshalb, weil vielleicht ihr Ursprung nicht bekannt ist. Oder sie Geheimnisse aus anderen Lehren beinhalten. Oder schlicht: weil der Inhalt der Bücher verborgen bleiben soll. Sie gehören aber zu Bibel und sind gleichwertig mit allen anderen Texten. Die Apokryphen geben Einblick in das Leben des Judentums in der Zeit vor und nach Jesus.

Die Geschichte von Ester fängt erstmal schön an. Wie ein Märchen. Und endet dann radikal. Die männlich dominierte Kunstwelt hat aus Susanna schnell die Verführerin gemacht. Die, die nicht genug kriegen kann. Ja, Susanna war doch selbst Schuld an ihrer Situation. Die Männer konnten gar nicht anders, sie waren das Opfer. Die Gehörnten.

Das Buch Ester soll uns zeigen, dass Gott an denen festhält, die an ihn glauben. Die ihm vertrauen, denen verhilft er zu Recht. Das soll uns und alle, die die Geschichte von Ester lesen im Glauben stärken und ermutigen. Und ja, das tut es wohl auch.

Aber was mir die Geschichte von Ester noch eindrücklicher zeigt ist: es gab eine Frau, die hat den Mund aufgemacht. Weit und laut! Um sich zu schützen und Hilfe zu bekommen. Aber was sie bekommen hat sind Erniedrigung und Anklage. Niemand glaubte ihr. Für alle war klar, die Männer würden die Wahrheit sagen. Und doch war es so richtig von ihr, denn damit hat sie ihre Freiheit und ihr Selbstbestimmungsrecht erhalten. Sie allein, nur sie, ist im Besitz ihres Körpers. Sie allein entscheidet, mit wem sie schläft. Jetzt und in Zukunft! Das ist ermutigend.

Die Geschichte zeigt aber auch, dass sich tausende Jahre nach dieser Frau nicht viel geändert hat. Ja, die me too Bewegung war laut, mittlerweile ist sie stiller. Ja, Frauen stehen auf, um Unrecht und sexuelle Gewalt anzuzeigen. Was es oft für sie bedeutet: öffentliche Erniedrigung und Anklage. Ihnen wird, so wie Ester, nicht geglaubt. Sie müssen Beweise vorlegen und ihre tiefen Verletzungen immer wieder offenbaren. Nur um dann selten Recht zu bekommen. Aber was sie gemeinsam haben: sie kämpfen für ihr Recht und schreien in die Welt, dass Gewalt an ihnen begangen wurde. Das ist unglaublich mutig! Diese Frauen verdienen großen Respekt. Für ihr Überleben und ihre Courage.

Ich denke heute an die vielen Frauen auf der ganzen Welt, die verstummen. Die nicht aus der Gewaltspirale kommen, weil sie noch Mädchen sind. Oder abhängig von ihren Peiniger:innen. Ich denke an die, die schweigen, um ihre Familie zu beschützen. Und die, die keine Kraft und keinen Mut haben. Die, die sich mühsam in ein neues Leben danach kämpfen und nie mehr die Alte sein werden. Gott möge an ihrer Seite sein und sie nicht lassen. Auch, wenn sie sich von ihm verlassen fühlen. Sie alle verdienen große Respekt.

Ich danke allen Frauen, die kämpfen. Aufstehen. und Alliierte sind für die, die nicht selbst für sich eintreten können.

Susanna schreit. Und das sollten wir auch. Nicht nur, wenn wir Unrecht erleben, sondern wenn wir Unrecht und Gewalt wahrnehmen. Damit niemand Opfer bleibt, sondern Täter als Täter erkennbar sind und bestraft werden. Damit unsere Töchter und deren Töchter sagen können, dass sich seit Ester etwas geändert hat.